Die TVSTUDIII-Kampagne in Berlin

Anfangsphase: Umfrage und Organisationsgrad

Im Juni 2015 organisierten ver.di und GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) auf Nachfrage der studentischen Personalräte einen gemeinsamen Workshop mit dem Titel „Was ist ein Tarifvertrag?“.  Bei der Veranstaltung versammelten sich Interessierte, um gemeinsam eine Tarifkampagne zu planen. Man einigte sich darauf, eine Umfrage unter allen studentischen Beschäftigten Berlins durchzuführen, um einen Forderungskatalog zu erstellen (Dezember 2015 – Februar 2016). Daraus ergaben sich Forderungen, die im Januar 2017 auf einer Klausurtagung beschlossen wurden. Dazu gehören die sofortige Anhebung des Lohns auf 14 Euro/h, eine zukünftige Dynamisierung des Lohns, die Wiedereinführung der Jahressonderzahlung und der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf mehr als sechs Wochen zu erhöhen (Tarifforderungen: https://tvstud.berlin/forderungen/).

2016 startete dann die Kampagne “Operation Orgagrad 1000+ “. Man hatte sich zum Ziel gesetzt bei einer Steigerung des Organisationsgrads um 1000 neue Mitglieder in ver.di und GEW Tarifverhandlungen zu führen. Die Kampagne verwendete unterschiedliche Slogans von der Diddle-Maus bis zum alten Nokia-Handy. Mit diesen Retrotrendbeispielen sollte deutlich werden, dass der studentische Tarifvertrag überaltert und erneuerungsdürftig ist. Die Orgagrad-Kampagne wurde im April 2017 erfolgreich abgeschlossen.

Phase 2: Aufruf zu Tarifverhandlungen

Im Sommer 2016 waren Landtagswahlen in Berlin und die rot-rot-grüne Regierung nahm die Verbesserung des studentischen Tarifvertrages mit in ihren Koalitionsvertrag auf: „Die Koalition wird den bundesweit einzigartigen studentischen Tarifvertrag erhalten und ausbauen. Die Entwicklung der Entgelte für studentische Beschäftigte soll mindestens der Entwicklung der realen Lebenshaltungskosten entsprechen.”  (https://www.berlin.de/rbmskzl/regierender-buergermeister/senat/koalitionsvereinbarung/ S. 86). Dies wurde vor allem durch Gespräche mit den Parteien und öffentlichen Druck aus der Kampagne erreicht.

Die Organisierung von studentischen Beschäftigten und die politische Ausgangslage schienen gut und so folgten im November 2016 Aktionen für Tarifverhandlungen und eine Pressemitteilung zum TVStud im Koalitionsvertrag (02.11.16: https://tvstud.berlin/2016/11/koalition-muss-zusagen-einhalten/).Weitere Aktionen wie die Weihnachtswunschzettelaktion folgten. Am 15.12.16 forderten ver.di und GEW die Berliner Hochschulen und den kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) zu Tarifverhandlungen auf. Die Aufnahme der Tarifverhandlungen erfolgte im Februar 2017.

© ver.di

Phase 3: Solidarisierungen und Aktionen

Solidarisierungen sind ein wichtiges Mittel, um sich gegenseitig zu stärken und politischen Willen zu zeigen. Im Februar 2017 fanden die Verhandlungen zum TV-L (Tarifvertrag der Länder) statt und die TVStud-Initiative solidarisierte sich mit den Beschäftigten. Im folgenden Monat begann eine Solidaritätsunterschriftenaktion von Hochschulbeschäftigten für einen neuen TVStudIII. Um Mitglieder zu informieren, aber auch zu aktivieren, gab es im März 2017 den ersten Newsletter der studentischen Beschäftigten, in dem über die ersten Sondierungsgespräche aufgeklärt wurde und wie die nächsten Schritte aussehen werden.  Während der Tarifverhandlungen erklärte sich die TVStud-Initiative außerdem solidarisch mit den Streikenden der Charité Facility Management (CFM). Besonders wirkungsvoll waren Protest- und Störaktionen bei öffentlichen Prestigeveranstaltungen der Hochschulen, wie dem MINT-Gipfel der TU Berlin (01.06.17), der Kanzler*innenwahl an der TU Berlin (13.06.2017), Antiparty zu 250 Jahren Humboldt an der HU Berlin (22.06.17), Kundgebung unter dem Motto „Lange Nacht der Ausbeutung“ zur Langen Nacht der Wissenschaften (24.06.2017) und die Queens Lecture der TU (21.11.2017).

Bei der Mobilisierung und Solidarisierung spielte die aufgezogene Social-Media-Kampagne eine große Rolle. Vor allem über Facebook und Twitter hat die Initiative viele Studierende erreicht und zu ihren Aktionen mobilisiert.

Phase 4: Tarifverhandlungen

Zur Begleitung der ab April stattfindenden Verhandlungen, gab es viele Aktionen an den Standorten, sowie Informationsstände. Am 07.04.2017, dem ersten Verhandlungstermin, wurde kein Angebot vorgelegt und so taten die Beschäftigten im Mai bei den berlinweiten Aktionstagen ihren Unmut kund. Es gab Demonstrationen und eine Belagerung des Präsidiums der Freien Universität (FU) Berlin. Beim zweiten Verhandlungstermin am 11.05.2017 wurde den studentischen Beschäftigten ein Angebot von 44 Cent mehr Lohn und einer zukünftigen Dynamisierung orientiert am TV-L angeboten. Auf den vorgelegten Forderungskatalog gingen die Tarifführer*innen der Hochschulseite nicht ein.

In einer Umfrage wurde das Angebot der Hochschulen deutlich abgelehnt. Die Studierenden bestärkten ihre TK (Tarifkommission) so in ihrer Argumentation. Aber auch in der dritten Tarifrunde gab es kein besseres Angebot. Bei der vierten Tarifrunde am 20.06.2017 zog die Hochschulseite ihr vorheriges Angebot zurück und schlug einen besseren Lohn ab 2018 ohne Dynamisierung vor. Da dieses Angebot im Gesamtvolumen über die Vertragslaufzeit aber noch unter dem ersten Angebot gelegen hätte, lehnte die TK entschieden ab. Die Fronten waren verhärtet. Die Hochschulseite ging weiterhin nicht auf weite Teile des Forderungskatalogs ein und ignorierte die Soliunterschriften der übrigen Hochschulbeschäftigten.

Phase 5: Kündigung des Tarifvertrages und Streik

Auf einer Klausurtagung der Aktiven wurde im Sommer 2017 über die Zukunft der Kampagne diskutiert und eine Empfehlung an die TK beschlossen. In den Verhandlungen war keine Bewegung in Sicht: Was sind die Alternativen? Soll gestreikt werden? Soll der Tarifvertrag gekündigt werden? Die Aktiven der Initiative beantworteten beide Fragen mit deutlicher Mehrheit mit „Ja“. Daraufhin hat die TK den Beschluss gefasst den Gewerkschaften die Empfehlung zu geben den Tarifvertrag zu kündigen. ver.di und die GEW folgten der Empfehlung und kündigten im September 2017 zum Ende des Jahres den TVStudII.

Der bevorstehende Streik wurde unverzüglich ein Thema an den Hochschulen. Studentische Beschäftigte wurden teilweise von ihren Professor*innen gefragt, ob sie auch am Streik teilnehmen werden. Für fast alle studentischen Beschäftigten war das eine völlig neue Situation, die viele Fragen aufwarf. Die Kampagne hat daher mehrere Leitfäden zu den Themen „Welche Rechte und Pflichten habe ich während des Streiks“, „Argumente für den Streik“, sowie ein FAQ auf ihrer Homepage (https://tvstud.berlin/faq/) veröffentlicht.

An den unterschiedlichen Hochschulen formierten sich Streikgruppen, die lokale Streikaktionen und dezentrale Streiktage organisierten.

Einen Streikbericht aus der Streikzeitung möchten wir euch an dieser Stelle einfügen (Streikkurier; 02.02.2018; Seite 5 (PDF-Dokument)):

© Streikkurier (02.02.2018)

Phase 6: Einigung und Ergebnis

© ver.di

Die Verhandlungen begannen nach ersten Sondierungen im April 2017 und dauerten über ein Jahr bis zur Einigung im Juli 2018 (siehe https://tvstud.berlin/chronik/). Auf Seite der studentischen Beschäftigten verhandelten nacheinander drei paritätisch besetzte, in Mitgliederversammlungen von GEW und ver.di gewählte Tarifkommissionen. Die Hochschulen bildeten ihrerseits eine Verhandlungskommission koordiniert vom Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV), in dem jedoch nur die Freie Universität (FU) und die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) organisiert sind. Insgesamt verliefen die neun Verhandlungsrunden sehr zäh − es wurden regelmäßig Tischvorlagen präsentiert und scheinbar geeinte Punkte wieder vom Verhandlungstisch genommen. Nach außen kommunizierten jedoch beide Seiten ihre hohe Einigungsbereitschaft.

Zwischenzeitlich wurden nach der fünften Verhandlungsrunde im Dezember 2017 die Verhandlungen für gescheitert erklärt, woraufhin zu ersten Streiks aufgerufen wurde. Erst im März 2018 wurden die Verhandlungen wieder aufgenommen, jedoch konnte auch nach drei weiteren Verhandlungsrunden bis Mai 2018 keine Einigung erreicht werden. Daraufhin folgte ein vierwöchiger Streik. In der letzten Verhandlungsrunde wurde sich dann auf ein Eckpunktepapier geeinigt, das u.a. eine sofortige Lohnerhöhung auf 12,30 Euro und eine stufenweise Erhöhung auf 12,96 Euro bis 2022, eine Verlängerung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und 30 Tage Urlaub vorsieht. Danach werden dann die Erhöhungen des TV-L, die alle anderen Hochschulbeschäftigten bekommen, auch auf die studentischen Beschäftigten übertragen, was die Hochschulen bis zuletzt erbittert abgelehnt hatten. Aber auch Forderungen der Hochschulen, wie eine Ausweitung der Einsatzmöglichkeiten von studentischen Beschäftigten konnten abgewendet werden.

Über die Eckpunkte konnten dann alle organisierten studentischen Beschäftigten in einer dreitägigen Mitgliederbefragung abstimmen. Da 68,2 Prozent der GEW-Mitglieder und 64,2 Prozent der ver.di-Mitglieder für die Annahme der Eckpunkte stimmten, nahm die Tarifkommission die Einigung einstimmig an. Nach der Einigung auf die Inhalte des neuen TVStudIII folge dessen redaktionelle Ausarbeitung, eine Unterzeichnung fand Anfang Oktober statt.

Eine Zusammenfassung des Ergebnisses zeigt ein Auszug aus der gemeinsamen Pressemitteilung von ver.di und GEW vom 28. Juni 2018:

„Die Tarifkommission der studentischen Beschäftigten hat einer Tarifeinigung für einen neuen Tarifvertrag Studentische Beschäftigte (TVStud) nach langer Beratung zugestimmt. Damit ist der längste Hochschulstreik in Deutschland vorerst beendet. In der kommenden Woche werden die Mitglieder von GEW BERLIN und ver.di befragt, ob sie der Empfehlung der Tarifkommission für eine Annahme des Einigungspapiers folgen.

Die Einigung sieht im Wesentlichen folgende Erhöhungen der Stundenlöhne von derzeit 10,98 Euro vor:

  • ab 1. Juli 2018 auf 12,30 Euro,
  • ab 1. Juli 2019 auf 12,50 Euro,
  • ab 1. Januar 2021 auf 12,68 Euro und
  • ab 1. Januar 2022 auf 12,96 Euro.

Zudem werden ab Juli 2023 die Löhne der Studentischen Beschäftigten im selben Maße wie die der anderen Hochschulbeschäftigten erhöht, die nach dem Tarifvertrag der Länder (TV-L) bezahlt werden. Die Hochschulen erhalten ein Widerspruchsrecht für den Fall, dass sie die TV-L-Erhöhung durch die Hochschulverträge nicht finanzieren können.“

Vollständige PM: https://tvstud.berlin/2018/06/pm-tarifeinigung-beim-tv-stud-jetzt-haben-die-mitglieder-das-wort/

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